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Rosa und Glitzer sind für alle da

Posted in Geschlechtsoffene Erziehung

Last updated on Februar 9, 2020

Dieser Blogpost erschien ursprünglich am 21.04.2017 auf nooborn.wordpress.com.
Da ich den alten Blog stillgelegt habe, findet sich der Text nun hier.


Bei der Beschäftigung mit „Genderkram“ fällt eines häufig auf: das reflexartige Ablehnen von Rosa und Glitzer, von Prinzessinnenhaftigkeit und allem was mit der „Mädchenschublade“ assoziiert wird.

Denn während es wie ein Ermächtigungsprozess erzählt und verstanden wird, wenn kleine Kinder die mit Vulva geboren wurden sich „jungstypisch“ verhalten, „Jungsklamotten“ tragen und „Jungsdinge“ mögen, ist es noch immer in den Augen vieler eine Abwertung, wenn kleine Kinder die mit Penis geboren wurden sich „mädchentypisch“ verhalten, „Mädchenklamotten“ tragen und „Mädchendinge“ mögen.

Ein Kind mit Vulva in Cargohosen, mit lockerem TShirt und ’ner Leidenschaft für Fußball? Saucool!

Ein Kind mit Penis in Kleid, mit Tiara und ’ner Leidenschaft für Puppenpflege? Wird das nicht schwul? Ist das nicht gefährlich für’s Kind? Macht es sich nicht lächerlich? Wird es womöglich kein „echter Mann™“?

Während „Räubertöchter“ so eine Art Statussymbol unter meist feministisch angehauchten Akademiker:innen-Haushalten sind, frei nach dem Motto „wir haben hier gelebte Chancengleichheit!“, sind Puppenpapas im Prinzesinnenkleid eher problematisch. Und „stereotype Mädchen“ erst recht, weil es scheinbar als eine Art feministischen Scheiterns verstanden wird, wenn Kinder mit Vulva sich in stereotypen Rollenbildern vollkommen wohlfühlen.

„Meine Tochter spielt sogar Fußball“ höre ich viel öfter als Argument für gelungene feministische/gleichberechtigte Erziehung als „Mein Sohn tanzt gern im Tutu!“.

Ich schreibe derartiges hier nicht zum ersten Mal. Aber als ich „Eure Kinder sind nicht hetero… und cis sind sie auch nicht!“ schrieb, erhielt ich zahlreiche Kommentare, sogar zuviele für mich um sie alle einzeln zu beantworten. Und viele warfen mir vor, hätte ich ein Kind mit Vulva dürfe es sich wahrscheinlich gar nicht zu einem „typischen Mädchen“ entwickeln. Und hätte ich ein Kind mit Penis dürfe es sich auch nicht zu einem „typischen Jungen“ entwickeln.

Und deshalb sage ich es nochmal: doch, meine Kinder dürfen „typische Mädchen“ oder „typische Jungs“ werden. Unabhängig von dem ihnen zugewiesenen Geschlecht. Und sich dabei als Junge, Mädchen oder beides, keines davon oder einfach nur es selbst definieren. Ich werde nicht enttäuscht von ihnen sein, sollten sie sich stereotyp entwickeln und auch nicht, wenn sie es nicht tun. Da habe ich gar kein Recht zu. Es ist ihr Leben, nicht meines.

Einer meiner Lieblingstweets zum Thema:

leute zu mir „lol du hast dein geschlecht aus den interwebs“ ich nur so „und deins hat deine mama ausgesucht“

— k (@glitzerk) April 6, 2017

Tatsächlich wird das Geschlecht zwar meist von medizinischem Personal zugewiesen, aber oft durch die Eltern bestätigt. Die Stimmen die sich über selbst gewählte Bezeichungen und Pronomen belustigen sind zahlreich. Aber damit Sprache sich ändert müssen wir die Sprache ändern. Und da werden sicherlich auch massig in wenigen Jahren wieder verworfene sprachliche Hilfskonstruktion dabei sein. Mit der Sprache verändert sich der Diskurs und das Denken und mit der Änderung des Denkens werden wieder neue Möglichkeiten geschaffen Sprache zu ändern.

Ich stehe nicht auf rosa-glitzer-Prinzessinnen-Kleider. Ich mag die Farbe nicht. Glitzer find ich okay. Prinzessinnen Kleider finde ich unpraktisch. In denen zu rennen, zu klettern, zu toben, krabbeln und laufen zu lernen ist halt einfach schwer. Die Klamotten sind zum „Schönsein“ gemacht, für nichts anderes. Mein Mann mag rosa. Und Glitzer. Und Einhörner.

Beide meine Kinder besitzen Kleider, keines davon ist rosa und glitzert. Aber immerhin kam für den Mann heute die rosa gerüschte Schürze an, die er sich gewünscht hat. Das Kleinkind hat manchmal so „Kleider“ Schübe. Momentan findet es Hosen geiler. Mit großen Taschen um Steine reinzutun. Das Baby hat noch keine Vorlieben bezüglich Klamotten und kriegt deshalb an, was uns gefällt und dem Baby gut steht. Ich glaube so halten das alle Eltern. Nur lassen viele sich davon einschränken ob „Junge“ oder „Mädchen“ an den Kleiderregalen steht. Ich kann die Blogposts von Elternblogger*innen, die sich darüber beschweren auf Grund des Genitals ihrer Kinder in der einen oder anderen Abteilung keine Babyklamotten shoppen zu können, nicht mehr zählen. Den Punkt übergehen wir geflissentlich. Der Kleiderschrank der beiden ist quasi derselbe. Es gab ein paar Neuanschaffungen weil einiges uns nicht mehr gefallen hat. Weil blassrosa dem Baby super steht, dem Kleinkind aber gar nicht. Ein kräftiges Pink steht hingegen dem Baby gar nicht, dem Kleinkind aber schon.

Wir erziehen auch nicht „geschlechtsneutral“ (ich mag das Wort nicht). Ich sage immer lieber wir erziehen „geschlechtsoffen“. Unsere Kinder haben geschlechtsspezifische Vornamen, wir benutzen im Alltag die Pronomen die dem zugewiesenen Geschlecht zugeordnet sind. Aber wir sagen nicht „Du bist ein Mädchen/Junge“. Wir versuchen die Kinder nicht auf Grund ihrer geschlechtlichen Zuweisung unterschiedlich zu behandeln – auch nicht sekundär, also auf Grund von geschlechtsmäßig erwarteter Zuschreibungen. Das klappt mal mehr und mal weniger gut.

Ich möchte nicht, dass meine Kinder mit sich selbst hadern müssen, weil das was sie sind nicht mit der gesellschaftlichen Vorstellung von dem übereinstimmt was sie auf Grund ihres Genitals sein sollen. Das ist ein Wunschtraum und das weiß ich. Die gesellschaftlichen Vorstellungen sind eben da und sie werden sich nicht von heute auf morgen verändern. Und ja!, meine Kinder werden (vorausgesetzt sie sind nicht von Natur aus „stereotyp weiblich“ oder „stereotyp männlich“) vermutlich auch Phasen haben in denen sie sich konform zu Geschlechterrollen verhalten, weil sie sich anpassen wollen. Ich hoffe nur, dass wir sie bis dahin stark genug dafür gemacht haben, Dinge die sie lieben nicht deshalb aufzugeben, weil es nicht zu dem passt was von ihnen erwartet wird.

Es ist schön, nicht gemobbt und gehänselt zu werden. Es ist nicht schön, wenn das nur deshalb nicht passiert weil ein Kind Teile von sich selbst verleugnet, überspielt oder verdrängt.

Ich glaube, wir werden einen großen Schritt gemacht haben, wenn rosa nicht mehr nur für „Mädchen“, „homosexuelle aber feminine Männer“ und BWLer öffentlich tragbar ist.

Also: streut Glitzer in die Welt, sie kann es brauchen.

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