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Kinder und Konsens

Posted in Allgemeines, and Aufklärung

Inhaltshinweise: Im folgenden Blogpost geht es um Grenzen und Grenzüberschreitungen, insbesondere körperliche. Sexualisierte und häusliche Gewalt und Folgen werden am Rand angesprochen. Körperausscheidungen, Mundhygiene und Verkehrssicherheit werden thematisiert. Außerdem geht es auch um Sexismus und Kinderfeindlichkeit.t.

Kürzlich spielte Gnom (5 1/2) mit einem 7jährigen Kind. Genau genommen kämpften die beiden. Und zwar einvernehmlich und mit großer Freude am gegenseitigen Kräftemessen. Nach einer Weile forderte eines der Kinder eine Pause – die sofort gewährt wurde. Danach einigten sich die Kinder, auf Knien weiter zu kämpfen um das Ganze etwas abzumildern. Diese Verhandlungen für das körperliche Spiel funktioniert bei den beiden ganz ohne Einmischung von uns Erwachsenen. Wir saßen nur daneben und haben zugesehen.

Wie aber können wir Kindern vermitteln was Konsens ist?

„Stopp. Das ist mein Körper. Ich will das nicht.“

Ich weiß nicht wie oft ich diesen Satz schon zu einem meiner Kinder gesagt habe. Kleine Kinder wissen noch nicht, dass sich etwas was sich für sie vielleicht gut anfühlt, für ihr Gegenüber ganz anders anfühlt. Das müssen sie erst lernen. Zeitgleich müssen sie auch lernen, dass Einverständnis etwas Wichtiges ist.

Ein sehr süßes Buch, welches Einverständnis für ganz Kleine (1-2,5 Jahre) vermittelt ist „Du darfst die Katze streicheln“ von Nastja Holtfreter (#Werbung ohne Bezahlung). In diesem Buch dürfen alle Tiere gestreichelt werden, auch die kleinen Pfötchen, die weichen Bäuche und die langen Öhrchen. Außer ein Tier. Das hat nämlich Nein gesagt.

Kobold und Gnom mögen das Lied „Ich sage Nein“ sehr gerne, in welchem die Kinder lernen, dass auch nahen Familienangehörigen Nein gesagt werden darf, wenn es um das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper geht. Nebenbei wird auch emotionale Erpressung ein bisschen thematisiert und direkt abgeblockt

„Oh, dann bin ich aber traurig!“

„Ja, dann darfst‘ halt traurig sein!“.

Aus dem Lied „Ich sage Nein“ von der Liedermacherin Nette

Aber was ist denn überhaupt „Konsens“?

Der Duden definiert Konsens als „Übereinstimmung von Meinungen“ oder als „Zustimmung, Einwilligung“. Hier soll es um die zweite Verwendungsform gehen – Konsens als Zustimmung und Einwilligung zu Interaktionen aller Art, insbesondere im Rahmen der körperlichen Selbstbestimmung.

In queerfeministischen Kreisen wird oft das Konzept des „enthusiastischen Konsens“ vermittelt – nur ein klares, enthusiastisches „Ja!“ bedeutet, dass Einverständnis gegeben wurde. Ich finde das oft schwierig, denn nicht jedes Ja ist ein enthusiastisches Ja.

In Rahmen der #metoo Debatte ist vor allem der Ausspruch „Nein heißt Nein!“ („No means No!“) bekannt geworden – und den braucht es sicherlich, in Anbetracht der Tatsache das viele noch immer verinnerlicht haben, dass ein „Nein“ insbesondere von Frauen und frauisierten Menschen, einfach nur heißt, dass da noch Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse.

Aber „Nein“ sagen ist gar nicht so leicht und will gelernt sein. Ein „Nein“ annehmen ebenfalls. Und es gibt zahlreiche Arten, „Nein“ zu meinen.

Im Karada House (ein queerer kollaborativer Kunst- & Körper-Raum in Berlin) habe ich oft einen Satz gehört, den ich mit nach Hause genommen habe und auch den Kindern vermittle. Sinngemäß geht der so:

„Wenn eine Person Nein zu dir sagt, heißt das nicht, dass diese Person dich ablehnt. Es heißt, dass diese Person dir gegenüber ihre eigenen Grenzen wahrt.“

Es macht das Akzeptieren eines „Neins“ bedeutend leichter, wenn das „Nein“, das andere Menschen mir gegenüber äußern, von mir dankbar entgegen genommen wird. Da hat eine Person so viel Vertrauen in mich, dass sie mir „Nein“ sagen kann. Da hat eine Person so ein Bewusstsein über die eigenen Bedürfnisse, dass sie mir „Nein“ sagen kann. Wie großartig!

Ich hatte ein spannendes Gespräch mit einigen Menschen über Konsens, bei dem ich für mich das folgende Bild für Konsens gefunden habe.

Konsens ist ein Raum. Wenn ich frage „Möchtest du das?“ oder „Ist das okay für dich?“ oder ähnliches, dann zeige ich auf eine Tür.

Diese Tür kann enthusiastisch und stürmisch aufgemacht werden und es wird ein Sprung mitten in den Raum gemacht. Die Tür kann verschlossen bleiben und der Raum nie betreten werden. Die Tür kann zaghaft geöffnet werden und es wird vorsichtig in den Raum gelugt. Die Tür kann geöffnet werden, der Raum betreten werden und dann merkt die Person, die den Raum betreten hat, dass sie sich doch nicht wohlfühlt und verlässt den Raum wieder. Die Tür kann betrachtet werden und die betrachtende Person kann beschließen, erst zu einem späteren Zeitpunkt hinein sehen zu wollen. Die Person kann sich im Raum hin und her bewegen und manchmal die Nähe der Tür suchen wollen. Auch dann noch wenn sie zuvor am entlegensten Punkt des Raumes stand.

So wird zum Beispiel ein Wickelkind, das eine Betreuungseinrichtung besucht, irgendwann vielleicht auch von Personen gewickelt werden müssen, die das zuvor noch nie getan haben – und es gibt Kinder, für die ist das sofort okay, es gibt Kinder, die müssen damit erst warm werden und es gibt Kinder, die lieber stundenlang in den eigenen Ausscheidungen verharren, als sich von einer anderen Person als der gewohnten wickeln zu lassen. Und natürlich kann sich die Einstellung der Kinder zum Wickeln von einem Moment zum anderen ändern, oder situationsabhängig sein. Nach einem anstrengenden Tag darf vielleicht nicht mal der:die Lieblingserzieher:in die Windel wechseln, sondern nur eine Hauptbezugsperson. Manchmal darf sogar diese die Windel (eine Weile) nicht wechseln. Und all das sollte okay sein, darauf sollte Rücksicht genommen werden (in der Praxis werden Kinder oft gegen ihren Willen gewickelt). Kein Kind bleibt freiwillig dauerhaft in den eigenen Ausscheidungen sitzen. Das Schlimmste was passieren kann ist ein wunder Po.

Grenzen & Notwendigkeit

Ein Kind, dessen Grenzen beständig übertreten werden, lernt, dass es okay ist, Grenzen zu übertreten.

Aber Kinder können nicht alle Situationen in dem Maße einschätzen wie Erwachsene das tun. Manche Gefahren sehen Kinder einfach nicht. Das klassischste Beispiel ist sicherlich das Anschnallen im Auto. Kleine Kinder können nicht einschätzen, dass der Gurt ihnen im Falle eines Unfalls das Leben retten könnte. Sie sehen nur, dass ihre Bewegung eingeschränkt wird, ihre Freiheit beschnitten wird und oft auch ihre Grenzen übertreten werden, wenn sie einfach angeschnallt werden, egal wie laut sie „Nein“ brüllen.

Mich begleitet in solchen Situationen eine Frage die ich erstmal durch das Artgerecht Projekt kennen gelernt habe:

Ist es Notwendig? Wendet diese Handlung eine Not ab?

Rennt mein Kind auf eine Straße und ein Auto kommt, frage ich nicht „Darf ich dich wieder auf den Gehweg holen?“ – ich mache das einfach. Das ist ein körperlicher Übergriff, für den ich im Nachgang die Verantwortung übernehme und den ich dadurch begründe, dass ich es nicht vertretbar finde, ein Kind, das vielleicht einfach einem Ball hinterher gerannt ist, von einem Auto überfahren zu lassen, wodurch es im schlimmsten Fall stirbt.

Hier werden mir sicherlich die meisten Menschen die mit Kindern leben noch zustimmen. Doch beim Thema Zähneputzen kommen wir dann schon in ganz andere Diskussionen. Was für mich ein absolut nicht notwendiger Übergriff ist (Zwangs-Zähneputzen) ist in den Augen anderer sehr wohl notwendig.

Denn die Frage, ob durch die Handlung eine Not abgewendet wird, wird keineswegs von allen Menschen gleich beantwortet. Es ist okay, dass wir zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen, solange wir die Verantwortung dafür übernehmen und bereit sind, diese auch gegenüber dem Kind zu tragen („Ich habe entschieden, dass es mir so wichtig ist, dass deine Zähne gründlich geputzt werden, dass ich das auch gegen deinen Willen getan habe.“). Es ist nicht okay, das Kind für unsere Handlungen verantwortlich zu machen („Ich musste dich ja zum Zähneputzen zwingen, du wolltest einfach nicht hören, dass du sonst Karies bekommst!“).

Wir müssen auch damit leben, wenn unsere größer werdenden Kinder unsere Entscheidungen falsch finden. Denn wir haben ihre Grenzen (nicht) übertreten, egal wie wir das vor uns rechtfertigen. Es ist möglich, dass meine Kinder mich später fragen: „Warum hast du mich nie zum Zähne putzen gezwungen, ich habe jetzt Karies, das wäre vielleicht anders, hättest du mir die Zähne immer geputzt!“ Aber ich stehe zu meiner Entscheidung und akzeptiere im Zweifelsfall die Wut und die Vorwürfe der Kinder dazu.

Ich versuche die Grenzen der Kinder so oft wie möglich zu wahren. An manchen Tagen geht das gut, an anderen nicht. Es gibt Tage, da kann ich jedes Nein akzeptieren. Und es gibt Tage, an denen bin ich gestresst, hetze von einem Termin zum nächsten und die Kinder müssen funktionieren. Das sind die Tage, an denen sich einmal mehr zeigt, wie schlecht die heteronormative Kleinfamilie funktioniert, wie schlecht eine Gesellschaft funktioniert in der Familie (in egal welchen Konstellationen) abgeschottet existieren soll. Überforderte Bezugspersonen von Kindern sind mit diesen oft allein (gelassen).

Die Kinderfeindlichkeit, der wir im Alltag begegnen, erschwert zusätzlich, Kindern ihre Grenzen zu lassen. Dann wird das schreiende Kleinkind am Arm aus dem Supermarkt gezogen, damit die Umstehenden aufhören Kommentare zu machen wie „dem Balg das Maul gestopft“ werden solle, dass „Mutti wohl überfordert“ sei, damit die Blicke und die Verurteilungen aufhören, die da sind, wo Hilfe oder auch einfach bloß Verständnis/Solidarität sein sollte.

Die Frage, welche Not abgewendet wird, wende ich aber nicht nur an, wenn ich mich frage, ob ich gerade die Grenzen meines Kindes überschreiten sollte, sondern auch umgekehrt: wenn ich mich frage, ob mein Kind gerade meine Grenzen überschreiten darf.

Manchmal wollen meine Kinder kuscheln, wenn ich das gerade nicht will. Sie haben ein starkes Nähebedürfnis und drücken das aus, indem sie sich ungefragt auf meinen Schoß schmeißen und ihre Ärmchen um mich legen, wenn ich doch einfach nur mal fünf Minuten in Ruhe sitzen will. Manchmal lasse ich das dann zu. Manchmal sage ich: „Stopp. Das ist mein Körper. Ich will das nicht.“. Die Entscheidung darüber treffe ich nach Notwendigkeit – ist gerade eine andere Person da, bei der sich das Kind Nähe holen kann? Hatte das Kind gerade einen Streit oder einen Unfall? Habe ich ein Kind vor mir, dem es gerade gut geht und das warten kann, bis sein Nähebedürfnis erfüllt wird?

Das große Kind (5 1/2 Jahre) diskutiert oft mit mir: „Aber mein Körper will dich gerade kuscheln, das ist mein Körper und über den bestimme ich!“ – „Du kannst über deinen Körper entscheiden, dass du mich gerade kuscheln möchtest. Aber du kannst nicht darüber entscheiden, dass mein Körper dich ebenso kuscheln will. Wenn du dringend gekuschelt werden magst, frag doch mal [andere anwesende Person] oder warte eine Weile. Ich sag dir Bescheid, wenn ich wieder in Kuschellaune bin.“

Ebenso wichtig, wie es ist, die Grenzen der Kinder zu wahren, ist es auch, die eigenen Grenzen zu kennen, zu wahren und zu kommunizieren. Denn auch das vermittelt den Kindern Konsens: wenn wir selbst über unsere Grenzen klar sprechen und sie nicht andauernd überschreiten.

So lernen meine Kinder zum Beispiel, dass ich es nicht mag, im Gesicht angefasst zu werden: das große Kind macht das kaum noch, das mittlere nur noch selten, das Kleine noch relativ häufig. Aber ich entziehe mein Gesicht den Kinderfingern und sage “Stopp. Das ist mein Körper. Ich möchte das nicht. Ich mag im Gesicht nicht angefasst werden. Wir können aber gerne kuscheln und du darfst meine Arme streicheln.”

Konsens im Alltag vermitteln

Auch wenn es in dem Beitrag bisher sicherlich schon an einigen Stellen ersichtlich war, wie wir Konsens im Alltag vermitteln, möchte ich hier doch nochmal explizit machen, was uns im Alltag hilft, Kindern Konsens zu vermitteln.

Offene Kommunikation

Wir begleiten unsere Interaktion mit den Kindern mit so viel offener Kommunikation wie möglich. Das ist nicht immer leicht, denn wir haben, wie wohl alle Menschen, auch unsere Schwachstellen und wunden Punkte, was Kommunikation von Emotionen angeht, gleich ob verbal oder non-verbal.

„Ich werde dich jetzt wickeln. Ich weiß, dass du das nicht möchtest, aber wir müssen gleich los und ich kann riechen, dass du einen Windelwechsel brauchst. Es tut mir leid, dass ich dich gegen deinen Willen wickeln muss.“

Es ist nicht immer angenehm, das eigene Handeln zu kommentieren, denn oft genug bemerken wir, dass wir eigentlich gar keinen (guten) Grund für unser Handeln haben. Aber das ist okay. Wir können das auch genau so auskommentieren.

Ein Elter aus dem Kindergarten teilte einmal den folgenden Grundsatz mit mir „Bei allem, was ich mit „das macht man nicht“ argumentieren möchte, mache ich aus meinem anfänglichen Nein erstmal immer ein Ja.“

Raum statt Regeln

Oder auch: Regeln sind zum Brechen da.

In vielen Familien gibt es „Familienregeln“. So etwas wie „Hauen ist verboten.“. Bei uns heißt das eher „Hauen ist verboten, es sei denn alle Beteiligten haben ihr Einverständnis gegeben, oder das Hauen dient der Verteidigung gegen Grenzüberschreitungen.“

Regeln als starre Konzepte bedeuten oft, nicht flexibel sein zu können. Regeln lassen sich außerdem leichter ausnutzen. So könnte bei der Regel “Hauen ist verboten” es passieren, dass Kind a Kind b die Zunge rausstreckt, ihm Spielzeug wegnimmt, gemeine Reime mit dem Namen macht und auch dann noch weiter macht, wenn Kind b schon längst gesagt hat “Hey, hör auf mich zu ärgern!”. Und dann haut Kind b Kind a. Kind a berichtet “Kind b hat mich gehauen!”. Kind b wird sicherlich widersprechen “Aber Kind a hat mich die ganze Zeit geärgert!”. Erwachsene neigen meiner Beobachtung nach dazu zu sagen “Ja, aber wir wollen uns nicht hauen, warum bist du denn nicht zu mir gekommen?”

Kind b hat hier aber seine eigenen Grenzen verteidigt. Und es ist gut, dass es das im Zweifelsfall mit solchem Nachdruck tut. Vielleicht gibt es aus erwachsener Perspektive “bessere” Handlungsmöglichkeiten, aber das Kind hat im Rahmen seiner Möglichkeiten und seiner Situation gehandelt. Auch alternative Handlungsprogramme (Situation verlassen, Hilfe anderer Menschen suchen) müssen erst gelernt werden. 

Es kann in einer Situation etwas falsch sein, was in einer anderen Situation richtig ist. Grundsätzlich ist es nicht okay, Menschen ohne ihr Einverständnis zu schlagen. Aber ich kann das nicht als starre Regel aufsetzen und zeitgleich mich darüber freuen, wenn Nazis eins auf die Rübe bekommen. Ich muss also den Kindern dieses Abwägen vermitteln. Ich muss ihnen erklären, warum ich es immer okay finde, Nazis zu schlagen, es aber nie okay finde, wenn Erwachsene Kinder schlagen und manchmal okay, wenn Kinder andere Kinder schlagen.

Dafür hilft es, wenn ich Räume aufmache, statt Regeln aufzustellen, Richtlinien gebe statt Verbotszonen zu definieren. Das ist nicht immer leicht und auch ich muss bereit sein, meine Grundsätze zu durchdenken und zu hinterfragen.

Altersangemessenheit

Ein Baby hat Bedürfnisse, die so schnell wie möglich erfüllt werden müssen. Es versteht nicht, dass die erwachsene Person vielleicht erst selbst etwas essen möchte, bevor der eigene nagende Hunger gestillt wird, es kann nicht wissen, dass es im Bus gerade unpraktisch ist zu wickeln und es ist ihm nicht bewusst, dass drei Uhr nachts nicht der ideale Zeitpunkt ist um zu spielen.

Erst wenn Kinder älter werden, ist so etwas wie „Bedürfnisaufschub“ möglich. Auch der Perspektivwechsel, also die Lage sich in das Gegenüber hinein zu versetzen, ist eine Fähigkeit, die sich erst im Laufe der Zeit ausbildet (einen ausführlichen Artikel zur Empathie-Entwicklung könnt ihr zB beim gewünschtesten Wunschkind lesen).

Und auch erst wenn Kinder älter werden, können wir ihnen die (volle) Verantwortung für ihr Handeln zumuten. Wann genau dieser Zeitpunkt gekommen ist, hängt aber nicht nur vom Kind ab, sondern auch von eventuell vorhanden Abhängigkeitsverhältnissen.

Wheel of Consent

Wer sich mit Konsens beschäftigt, wird früher oder später auch auf das „Wheel of Consent“ von Dr. Betty Martin stoßen (die deutsche Fassung, „Das Konsens Rad“ findet ihr hier).

Das Konsens-Rad ist ein Tool um heraus zu finden für wen eine Handlung ausgeführt wird und von wem – und ob die Zustimmung dafür die Richtige ist.

Ich habe eine schnelle Abwandlung davon für Erwachsene und Kinder gemacht, um einen mir sehr wichtigen Punkt hervorzuheben: Machtverhältnisse und kognitive Fähigkeiten.

Bildbeschreibung: ein kleiner grüner Kreis und ein etwas größerer grauer Halbkreis sind durch zwei weiße Linien in vier Bereiche geteilt. Oben im Bild befindet sich die Ebene „Erwachsene:r handelt“, unten „Kind handelt“, links „Dem Kind etwas geben“, rechts „Vom Kind etwas bekommen“. Das obere linke Viertel zeigt im grauen Bereich die Aufschrift „Etwas aufzwingen“ und im grünen „Schenken“ und etwas kleiner „Ja, ich will.“. Das obere rechte Viertel zeigt im grauen Bereich die Aufschrift „Etwas erzwingen“ und im grünen Bereich „Nehmen“ sowie etwas kleiner „Darf ich…?“. Im unteren rechten Viertel steht „Akzeptieren“ und kleiner „Würdest Du…?“, im unteren linken Viertel steht „Erlauben“ und „Ja, du darfst“. Im unteren Bildbereich gibt es keine graue Seite.

Frage ich zum Beispiel mein Kind: „Möchtest du kuscheln“? so kann das eine Handlung für mich sein (ich würde mein Kind gerne kuscheln) oder eine für das Kind (ich glaube das Kind möchte gekuschelt werden). Das Kind weiß aber nicht, ob ich gekuschelt werden will oder ob ich glaube, dass das dem Kind gerade gut täte. Es kann also zustimmen, weil es glaubt, dass mir das kuscheln gerade gut tut oder weil es tatsächlich gerade gekuschelt werden möchte. Eine gute Idee ist daher das präzise Formulieren: „Du siehst traurig aus. Magst du ein bisschen kuscheln zum Trösten?“ oder „Uff ich bin gerade so ko. Darf ich dich kuscheln? Das täte mir gerade gut.“

Die Quadranten im einzelnen:

  • Schenken (im Original „Dienen“/engl. „Serve“): ist eine Handlung von mir die jemand anderem nutzt. Im obigen Beispiel wäre das Kuscheln um das Kind zu trösten.
  • Nehmen: ist eine Handlung von mir, um mir zu nutzen. Im obigen Beispiel also Kuscheln um mich zu trösten.
  • Erlauben: Andere dürfen zu ihren Gunsten eine Handlung an/mit mir durchführen. Im obigen Beispiel: Das Kind erlaubt mir, es zu kuscheln, damit ich darin Trost finde.
  • Akzeptieren (im Original „Empfangen“, engl. „accept“): Andere dürfen zu meinen Gunsten eine Handlung an/mit mir durchführen. Im obigen Beispiel: Das Kind erlaubt mir, es zu kuscheln, um dadurch Trost zu bekommen.

Die jeweils schräg gegenüberliegenden Quadranten sind die Spiegel(re)aktionen. Will ich nehmen, so muss mein Kind mir das erlauben. Will ich schenken, so muss mein Kind dies akzeptieren.

Hier ist der Knackpunkt und Ursprung vieler Missverständnisse: Konsens ist nur dann eindeutig, wenn er unter Annahme der korrekten Voraussetzungen gegeben wurde. Nur wenn mein Kind weiß, dass es darum geht mich selbst zu trösten, kann es mir dies erlauben. Nur wenn mein Kind weiß, dass es darum geht es zu trösten, kann es dies akzeptieren. Vielleicht ist es für mein Kind völlig okay, mich zu kuscheln um mich zu trösten, aber ich will kuscheln um das Kind zu trösten. Das Kind will aber gar nicht gekuschelt werden um darin Trost zu finden.

Üblicherweise gibt es beim Wheel of Consent einmal den inneren Kreis, hier in der Grafik hellgrün – darin steht für was Konsens gegeben wurde – und es gibt die Schattenseite – das was passiert wenn kein Konsens gegeben wurde.

Doch Kinder müssen Konsens erst lernen. Kein Kind kommt auf die Welt mit der Gabe, sich in andere hineinzuversetzen oder komplexe Abwägungen über Aktionen im jetzt und Reaktionen in der Zukunft zu machen. Wenn ich meinem Kind sage „Stopp. Das ist mein Körper. Ich will das nicht.“, dann markiere ich meine Grenze klar und deutlich. Aber das 7jährige Kind reagiert darauf anders als mein 5 1/2jähriges, das anders reagiert als mein 4jähriges, das anders reagiert als die 2jährigen. Das 7jährige Kind bekommt es meistens hin, meine Grenzen zu respektieren, das 5 1/2jährige schon in der überwiegenden Zahl der Fälle, das 4jährige manchmal und die 2jährigen oft nur nach mehrmaliger Wiederholung.

Aber auch hier sind wir Erwachsenen in der Verantwortung: ich kann kein 2jähriges Kind dafür verantwortlich machen, dass es mich als Klettergerüst benutzt, obwohl ich das nicht will. Ich kann aber die Situation so verändern, dass meine Grenzen gewahrt werden: ich kann andere Klettermöglichkeiten anbieten, den Raum verlassen etc. Ich habe sogar die Macht, mein Kind von mir herunter zu heben und woanders hinzubringen, denn ich bin größer und stärker. Kinder haben diese Möglichkeit nicht.

Was ich unter Erwachsenen eher als Victimblaming (dem Opfer [Teil-]Schuld zuweisen, statt Schuld bei der:dem Täter:in zu suchen) auffassen würde, ist im Falle einer Erwachsene:r – Kind Dynamik etwas anderes.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Kinder immer abhängig von den Erwachsenen um sie herum sind. Es ist ein Machtverhältnis, welches nie außer Acht gelassen werden und nie missbraucht werden darf. Ich möchte immer ein bisschen mitweinen, wenn ich Erwachsene erlebe, die einem Kind drohen, es allein zurück zu lassen, wenn es nicht…

Diese Abhängigkeit ist das, was Kinder auch die grausamsten Übergriffe ertragen lässt. Kinder haben oft gar keine andere Wahl, als auch jahrelangen Missbrauch und Misshandlungen durchzustehen – denn die Alternative heißt Tod (vielleicht nicht tatsächlich, aber im Bewusstsein des misshandelten/missbrauchten Kindes sind soziale Auffangeinrichtungen wohl eher selten vorhanden).

Darum ist hier im Wheel of Consent die Schattenseite auf der Seite der „Kind handelt“ Ebene leer. Kinder können uns Erwachsene nicht manipulieren, nicht zum aushalten zwingen, uns nicht ausnutzen. Erst nach und nach, wenn Kinder von uns unabhängiger werden, können Kinder auch (teilweise) verantwortlich gemacht werden.


Wie vermittelt ihr euren Kindern Konsens? Was waren für euch hilfreiche Methoden? Lasst mir gerne einen Kommentar da oder schreibt mir auf Twitter oder Facebook!

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