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Nomen est omen – Vornamenswahl und geschlechtsoffene Erziehung

Posted in Geschlechtsoffene Erziehung

Last updated on Mai 11, 2020

Dieser Blogpost erschien ursprünglich am 01.05.2018 auf nooborn.wordpress.com. Da ich den alten Blog stillgelegt habe, findet sich der Text nun hier.


Das 7jährige Kind von Mein Glück hat mich (indirekt) gefragt, warum unsere Kinder Namen tragen, die ihrem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entsprechen.

Das ist nicht das erste Mal, dass mir die Frage gestellt wird und mit der Geburt von Noob3 ist sie gerade wieder aktuell, deshalb beantworte ich das mal in Langform hier auf dem Blog.

Grundsätzlich dürfen in Deutschland „geschlechtsuneindeutige“ Namen noch gar nicht so lange ohne einen „geschlechtsspezifischen“ zweiten Vornamen vergeben werden. Wer sein Kind etwa Eike nennen wollte, musste bis vor wenigen Jahren als zweiten Namen zum Beispiel „Jaqueline“ oder „Maximilian“ dranhängen. Diese Praxis wurde zwar abgeschafft, das ist aber noch nicht bei allen Standesämtern angekommen – und ob die zuständige Person einen neutralen Namen durchwinkt oder eben nicht ist noch relativ willkürlich.

Ein bisschen ließ sich da früher schon tricksen, indem zum Beispiel Namen vergeben wurden, die in Deutschland als geschlechtsspezifisch gelten, in anderen Ländern aber neutral oder spezifisch für das binäre Geschlecht, das dem Kind nicht zugewiesen wurde. „Andrea“ ist so ein Name. In Deutschland weiblich, in Italien männlich. Trotzdem würde ein Kind, das in Deutschland mit dem Namen Andrea aufwächst erstmal weiblich gegendert werden, wenn nur der Name bekannt ist.

Dann kommt die Auswahl an Namen. Neutrale Namen sind rar. Es gibt natürlich zahlreiche Namenslisten mit neutralen Vornamen, aber die mit den geschlechtsspezifischen Vornamen sind ungleich länger.

Wir vergeben die Namen unserer Kinder vorranging nach Aspekten von Bedeutung und Klang – und uns gefallen die meisten neutralen Vornamen schlicht nicht.

Auf der Auswahlliste von neutralen Namen standen bei uns Eli, Jona, Robin, Luca, Luan, Mika und Noa. Fun Fact: Jonah mit h hinten und Noah mit h hinten gelten in Deutschland beide als geschlechtsspezifisch männlich. Tja, aber nachdem Eli, Luan und Noa nach Namensfindungsdiskussionen zwischen dem Mann und mir von der Liste flogen, blieben nur noch Jona, Robin, Luca und Mika.

Jona, Luca und Robin sind bereits an Kinder im Bekanntenkreis vergeben und Mikas kenne ich inzwischen drei oder vier. Ich mag die Namen trotzdem sehr gerne, aber sie kamen halt für Noob3 nicht in Frage.

Nun haben unsere Kinder zwei Vornamen und theoretisch hätten wir ja zumindest einen davon neutral wählen können ohne auf größere Schwierigkeiten zu stoßen. Haben wir aber nicht. Weil uns andere Namen besser gefielen.

Wäre es in Deutschland möglich, Vornamen einfach nach Gefallen auszuwählen, dann hätten unsere Kinder vermutlich entweder alle „weibliche“ Vornamen oder je einen „männlichen“ und einen „weiblichen“.

Ich hätte überhaupt nichts gegen ein Kind namens Martha Heinrich oder Richard Friederike. Das darf in Deutschland bei binärem Geschlechtseintrag aber nicht sein.

Soweit die Überlegungen auf Grund deutscher Rechtslage. Unsere Kinder haben also ganz banal Vornamen, die dem zugewiesenen Geschlecht zugewiesen sind.

Womit wir dann beim nächsten Punkt wären: welche Vornamen „männlich“ und welche „weiblich“ sind ist ebenso kulturell gewachsen wie das 2-Geschlechter-System. Ein „weiblicher“ Vorname macht keinen Menschen zur Frau. Ebenso wenig wie alle Menschen die „sie“ als Pronomen nutzen, weiblich sind. Die gesamte Konstruktion des 2-Geschlechter-Systems funktioniert über Sprache und um sie aufzubrechen schadet es nicht die Bedeutung zu erweitern.

Mama Juja hatte in ihrem Gastbeitrag hier auch das Lied „A boy named Sue“ von Johnny Cash erwähnt. In dem Lied wächst ein Junge ohne seinen Vater auf und das einzige was dieser hinterließ, war die Entscheidung sein Kind „Sue“ zu nennen – ein „weiblicher“ Name. Das Kind wächst mit Hänseleien auf und trifft irgendwann auf den Vater, der erklärt er habe dem Kind den Namen gegeben um es stark zu machen, abzuhärten (weil er ja wusste, dass er als männliches Vorbild dem Sohn nicht zur Verfügung stehen wird). Nun könnte ich an dieser Stelle was über toxische Maskulinität schreiben, das klemme ich mir aber mal und weise auf etwas anderes hin: Der Junge wird weder zum Mädchen durch seinen Namen, noch ändert er den Namen (obwohl er ihn verabscheut). Er ist eben „a boy named Sue“.

Sollten unsere Kinder ihre Namen irgendwann ablehnen, dann sprechen wir sie anders an. Punkt. Und dabei ist es egal ob sie cis oder trans sind. Wenn sie eine Namenänderung anstreben, dann werden wir sie unterstützen – auch wenn ich hoffe, dass das in naher Zukunft leichter wird und es nicht mehr viel Unterstützung braucht.

Natürlich haben wir die Namen mit Bedacht, Bedeutung und der Hoffnung, dass sie unsere Kinder durch ihr Leben begleiten werden gewählt. Aber wenn das nicht so ist, dann ist das nicht so. Immerhin müssen die kleinen Wesen in ihren ersten Lebenswochen benannt werden, wo wir sie gerade erst kennen lernen. Vielleicht passen andere Namen besser zu ihnen und wir haben das einfach nur nicht gewusst.

Vielleicht stört sich Noob2 zum Beispiel an der stark christlichen Bedeutung seines Vornamens. Vielleicht möchte Noob1 einen Vornamen der auch in einer 2-Geschlechter-Welt besser auf das Geschlecht von Noob1 hinweist, statt auf das zugewiesene. Und Noob3 ist der Name den wir gewählt haben vielleicht schlicht und ergreifend zu lang. Das ist dann einfach so.

Namen haben in unserer Kultur und in den meisten anderen eine große Bedeutung – nicht umsonst ranken sich Mythen um „wahre Namen“, die Benennung von Wesen und Dingen ist Teil vieler Schöpfungsmythen (so auch der christlichen). Nomen est omen.

2 Comments

  1. Sternchen
    Sternchen

    Interessant! (Ich bin erst jetzt auf diesen wirklich großartigen Blog gestoßen, deshalb jetzt mein Kommentar zu einem der älteren Beiträge.)
    Zu diesem Beitrag habe ich nur eine Verständnisfrage: Klar, ihr ordnet euren Kindern kein Geschlecht zu in Form von „du bist ein Mädchen / Junge“. Aber wenn sich ein Kind mit dem geschlechtsspezifischen Vornamen vorgestellt wird, ordnet das Gegenüber dem Kind ja doch wieder das zugewiesene Geschlecht zu, oder nicht? (Ich würde mich da auch gar nicht ausnehmen.) Zumal ihr auch die Pronomen für eure Kinder benutzt, wie sie den zugewiesenen Geschlechtern entsprechen, so stand es ja in einem der anderen Beiträge.

    Mit der Idee der geschlechtsoffenen Erziehung liebäugele ich schon eine ganze Weile und inzwischen wird die Planung von Nachwuchs hier auch konkreter 🙂 (muss im RL noch nicht jede_r wissen, deshalb verzichte ich mal auf nähere Informationen). Vielleicht ist es noch ein bisschen früh für mich, irgendwo Erziehungsfragen zu stellen, aber gerade die Geschlechtszuschreibung passiert ja in dieser Gesellschaft nun wirklich von Anfang an. Bei diesem Ansatz hatte ich, trotz allen offensichtlichen Vorteilen, doch auch immer ein paar Bedenken. Nicht zuletzt die auch von dir erwähnte kleine Auswahl an geschlechtsneutralen Vornamen, unsere Namens-Favoriten sind nun mal nicht unisex. Deshalb habe ich mich auch so über diesen Beitrag gefreut – vielleicht könnte euer Weg ja eines Tages auch unserer sein… Wenn ich mich jetzt nur nicht fragen würde: Geschlechtsoffene Erziehung, das bedeutet doch, dass man abwartet, bis ein Kind sich selbst einem Geschlecht zuordnet und sich dann danach richtet – passt das dann überhaupt noch zusammen?

    Für mich wäre noch ein Beitrag hilfreich, der erklärt, wieso ihr euch entschieden habt, das mit den Pronomen so zu handhaben. Oder eine Antwort, die meinen Denkfehler findet und beseitigt. 🙂

    Danke noch mal für den Blog, da fühle ich mich ganz wohl und ich werde sicherlich weiter verfolgen, was du schreibst!

    Mai 9, 2020
    |Reply
    • Zesyr_a
      Zesyr_a

      Danke für deinen Kommentar!
      Ja, den Kindern wird von außen auf Grund des Vornamens oft ein Geschlecht zugewiesen. Es gab aber auch schon zahlreiche Situationen wo die Personen auf den Namen reagieren indem sie entweder überrascht sind („Ach das ist ein Junger/Mädchen?“) oder in denen sie einfach den Namen so missverstehen, dass er zu ihrer Wahrnehmung passt, was ein sehr faszinierender Effekt ist. „Wie heißt die Kleine denn?“ „Paul.“ „Oh, eine Paula, wie süß!“. Unser drittes Kind hat einen Namen den wir meist abkürzen und der in dieser Kurzform meist für das binäre Geschlecht genutzt wird, was dem zugewiesenen widerspricht. Da antworte ich auf die Frage nach „Mädchen oder Junge“ meist mit „Das ist [Name].“, die Leute verwenden dann meist das Pronomen, welches nicht der Zuweisung entspricht. Generell korrigieren wir Leute nicht, wenn sie für die Kinder ein Pronomen nutzen das von unserer Nutzung abweicht – wozu auch, vielleicht haben die recht und wir nicht? Die Kinder wissen auch, dass sie jederzeit uns sagen können, dass sie a) einen anderen Namen undoder ein anderes Pronomen möchten und dass wir b) das auch nach außen verteidigen und kommunizieren, wenn sie das möchten.
      Wir sind für Namens- und Pronomenänderungen von Seiten unserer Kinder einfach sehr offen. Das große Kind hatte auch eine Experimentierphase in der es teilweise mehrfach am Tag das Pronomen und manchmal auch den Namen gewechselt hat.
      „Abwarten bis das Kind sich selbst zuordnet“ ist ein guter Vorsatz, aber das Kind wird in den 2-7 Jahren die das so üblicherweise dauert von allen Seiten mit Stereotypen konfrontiert. Wir reden darüber sehr offen „Bei deiner Geburt haben Erwachsene gesagt, dass du ein Mädchen/Junge wärst, weil du eine Vulvina/einen Penis hast. Aber ob du ein Mädchen, ein Junge, beides, nichts davon oder was ganz anderes bist, das entscheidest nur du.“ ist zum Beispiel so eine Erklärung. Oder auch „Manche Menschen glauben, dass nur Mädchen rosa Sachen tragen sollten. Aber das ist Quatschkäse, alle können die Farben tragen die sie mögen.“
      Und selbst wenn wir uns noch so sehr vornehmen, den Stereotypen entgegen zu wirken, wir alle sind ja mit vergeschlechtlichten Vorstellungen aufgewachsen und die zu bemerken ist manchmal gar nicht so leicht.
      Geschlechtsoffen bedeutet für mich keineswegs „neutral“ denn ich glaube einfach nicht, dass es in einer Welt in der es sogar gegenderte Duftbäume für Autos gibt, soetwas wie eine „neutrale“ Begleitung des Kindes geben kann.

      Mai 11, 2020
      |Reply

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