Inhaltshinweise: Es geht um Artikel um Kindererziehung, Rassismus und rassistische Gewalt, Polizeigewalt, Nazis und nationalsozialistische Verbrechen, Flucht und geflüchtete Menschen (schreibt mich gerne an, wenn euch Inhaltshinweise fehlen)
Am Sonntag war ich mit zwei meiner drei Kinder auf einer Demo. Es gibt dann immer wieder Menschen, die sagen Kinder hätten auf Demos nichts zu suchen.
Zeitgleich ging am Wochenende der Hashtag #BOohneRechts durch meine Twitter-Bubble. Es geht hier nicht um die BöhsenOnkelz (die gibts nur mit rechts) und auch nicht um Bochum, sondern um Bindungs- und Beziehungsorientierte Elternschaft.
Alles was ich mit einer solchen Elternschaft verbinde, steht ganz klar gegen rechts. Aber tatsächlich gibt es viele die entweder schon rechts sind oder bei der ersten sich bietenden Gelegenheit rechts abbiegen werden, die sich auch unter dem großen Schirm der “Bindungsorientierung” versammeln.
Diese Eltern, meist mit mehr als einem Kind, sehen freundlich aus und riechen nach selbstgebackenem Brot und Lavendelsäckchen gegen die Motten in der Wollkleidung. Sie sind für Umweltschutz und ernähren sich vegan.
Dahinter steht dann oft die Selbstaufgabe der Hauptbezugsperson (also der Mutter oder vermutterten Person) um der Bindung willen. Da wird “Fremdbetreuung in den ersten Lebensjahren” zum Feindbild hochstilisiert, damit klar ist: Heim und Herd ist für die Frau oder frauisierte Person der richtige Platz. Die Kinder werden von ihren barfußschuhtragenden Müttern in hübschen Tragetüchern und mit Stoff gewickelt in die Welt getragen, nicht geimpft (wer nicht überlebt war nicht stark genug), homöopathisch gegen Kinderkrankheiten behandelt (die Anthroposophie wirft ihre rassistischen, antisemitischen Schatten), kommen dann gerne in Waldkindergärten (Jeden Tag draußen! Das härtet ab!) und gehen anschließend nicht selten auf Waldorfschulen (Gemeinschaft! Handwerk! Und schon wieder diese Anthroposophie!).
Hellhörig wird eins, wenn diese Eltern dann anfangen zu reden von “gesunden starken Kindern”. Von der Wichtigkeit der Mutter für die Familie. Davon, dass geflüchtete Menschen “unsere Werte nicht teilen”. Sie sind für Todesstrafe für Kinderschänder. Gegen Schwangerschaftsabbrüche. Sie engagieren sich in den bei allen verhassten Elternsprecher:innen-Ämtern in Kindergarten und Schule. Sie sind immer da, bei jedem Fest, bei jedem Elternabend. Sie haben zuckerfreien Kuchen im Gepäck und setzen sich dafür ein, dass die Kinder aufessen müssen bevor sie Nachtisch bekommen. Kinder können diese netten Eltern genauso wenig wie ich auf den ersten Blick von anderen netten Eltern unterscheiden.
“…Nazis [lieben] Familienthemen, und das schon immer. Im Gegensatz zu Ausländerhass und Demokratiezersetzung sind sie nämlich ungeheuer anschlussfähig. Man muss sich nur mal das familienpolitische Programm der AfD anschauen: (…) diese Agenda ist an ein Weltbild geknüpft, das nur einen einzigen Familienentwurf akzeptiert: die weiße heteronormative Versorgerehe.”
Nora Imlau, in: Falsche Freunde, https://www.nora-imlau.de/falsche-freunde/, aufgerufen am 23.09.2020
Ich hatte mit meinem großen Kind, als es etwa 5 war, ein Gespräch über Nazis. Wir waren an einem Ort der an die Verbrechen der Nazis erinnerte und ich erklärte dem Kind an was erinnert wird und warum. “Aber jetzt sind die Nazis alle tot?” wollte das Kind wissen. “Nein. Es gibt leider noch immer sehr viele Nazis. Und wir anderen sind dafür verantwortlich, dass die nie wieder an die Macht kommen, dass wir ihnen keinen Raum geben.” “Aber wie sehen denn Nazis aus?” wurde ich gefragt. “Leider kannst du die nicht einfach am Aussehen erkennen. Die sehen aus wie unsere Nachbar:innen, wie du und ich, wie Oma und Opa. Du musst hinhören was Menschen sagen und aufpassen, wie sie handeln.”
Wir reden mit den Kindern oft über politische Themen. Viele Menschen sagen, dass Politik für Kinder noch nichts sei. Kinder zu klein um Zusammenhänge zu erkennen. Dabei verkennen sie dann gern, dass sie ihre Kinder beständig mit politischen Dingen konfrontieren. Gucken die Kinder Paw Patrol und Zoomania, lernen etwas über die Polizei. Das kann dann entweder ins Verhältnis gesetzt werden indem Kinder auch mit anderem Verhalten der Polizei in Berührung kommen. Oder eben nicht.
Sehen die Kinder einen beliebigen Disney-Film lernen sie, dass Schönheit für Frauen sich daran bemisst dass sie ihre Taille mit ihrem eigenem Arm vollständig zweimal umwickeln könnten (Übertreibung), die Ehe eine Sache zwischen Mann und Frau ist, Frauen Männern einfach verfallen, das Herauskitzeln der weichen Seite eines Mannes Aufgabe von Frauen ist, es so etwas wie natürlich legitimierte Machtverhältnisse gibt die nie hinterfragt werden,…
Lesen sich die Kinder durch eine durchschnittliche Kinderbibliothek, lernen sie, dass Mädchen selten eine Rolle spielen, auf jeden Fall Geschichten mit Mädchen in der Hauptrolle seltener sind als welche mit Tieren in der Hauptrolle und Kinder die weder Jungen noch Mädchen sind gar nicht erst vorkommen.
Hören die Kinder Erwachsene sprechen, lernen sie, dass es besser sei andere wegen ihres Intellekts abzuwerten als sie mit Fäkalien zu vergleichen. Und überhaupt, dass Menschen mit Behinderungen irgendwie mangelhaft sind.
Kommen die Kinder in das staatliche Schulsystem lernen sie Obrigkeitshörigkeit, dass Leistung das ist, was sie wesentlich ausmacht, dass “mit allen klar kommen” wichtiger ist als individuelle enge Freund_innenschaften, dass Spielen etwas für Kinder ist und jetzt “der Ernst des Lebens” beginnt. Sie lernen zu differenzieren zwischen dem was sie leisten sollen und dem was sie sich “gönnen” dürfen, wenn sie genug geleistet haben.
Ganz frei nach Watzlawick: Man kann nicht nicht erziehen. Unser Handeln wie unser Nicht-Handeln bringt unseren Kindern etwas bei. Immer.
@sasoufilou twitterte im Zuge der #BOohneRechts Diskussion “Finde übrigens, dass es langsam mal Zeit für die Popularität einer antifaschistischen Elternschaft wird.” und ich möchte das ganz dick und breit unterstreichen, einrahmen und in sämtliche Betreuungseinrichtungen der Kinder hängen.
Antifaschismus und Antirassismus sind nichts was Kinder sich selbst erschließen müssen. Es ist schlimm, dass wir das mussten. Ich habe soviel Rassismus internalisiert (verinnerlicht), soviel Klassismus, Ableismus, Sexismus, LGBTQIA-Feindlichkeit, Antisemitismus,..
In “Nanette” erzählt Hannah Gadsby davon, wie es war in einer homofeindlichen Gesellschaft aufzuwachsen und dann festzustellen, selbst lesbisch zu sein.
“I’m from the northwest coast of Tasmania, the Bible Belt. Seventy percent of the people I lived amongst believed that homosexuality should be a criminal act. Seventy percent of the people who raised me, who loved me, who I trusted, believed that homosexuality was a sin, that homosexuals were heinous, sub-human pedophiles. Seventy percent! And by the time I identified as being gay, it was too late. I was already homophobic, and you do not get to just flick a switch on that. No, what you do is you internalize that homophobia and you learn to hate yourself. Hate yourself to the core. I sat soaking in shame in the closet for ten years.”
Übersetzung: Ich stamme von der nordwestlichen Küste Tasmaniens, dem Bibelgürtel. Siebzig Prozent der Leute zwischen denen ich lebte, waren der Überzeugung, dass Homosexualität eine Straftat sein sollte. Siebzig Prozent der Leute die mich erzogen haben, die mich geliebt haben, denen ich vertraut habe, haben geglaubt dass Homosexualität eine Sünde ist, dass Homosexuelle abscheuliche, minderwertige, pädophile Menschen wären. Siebzig Prozent! Und zu dem Zeitpunkt als ich herausfand, dass ich lesbisch bin, war es zu spät. Ich war bereits homofeindlich, und es gibt da keinen Schalter den man einfach umlegen kann. Nein, was passiert ist, dass du Homofeindlichkeit internalisierst und lernst, dich selbst zu hassen. Dich selbst bis zu deinem Innersten zu hassen. Ich blieb, durchtränkt von Scham, zehn Jahre lang im Schrank ( die englische Redewendung „living in the closet“ bedeutet, dass eine Person ungeoutet durchs Leben geht, auch im deutschsprachigen Raum hat die Redewendung Einzug gefunden, zB in der Zusammensetzung der „Schrank-Lesbe“).
Hannah Gadsby, Nanette (Netflix, 2018)
Wir sind dafür verantwortlich, welche Ideen über Menschen und menschliches Miteinander wir unseren Kindern mitgeben. In einer Gesellschaft in der rassistische Aussagen breite Zustimmung finden, in der “behindert” und “schwul” immer noch als Schimpfwörter funktionieren, in der sind wir in der Pflicht unsere Kinder antifaschistisch und antirassistisch zu erziehen. Sonst bleibt unser #niewieder ein leerer Hashtag den wir für die Likes raushauen. Wir können nicht “Kein Fußbreit” sagen, aber zu Hanau nur kurz betroffen mit den Schultern zucken und dann bei Anne Will Nazis beim Reden zuhören.
Als weißes Elter weißer Kinder ist es meine verdammte Pflicht immer zu intervenieren, wenn sie aus Kindergarten und Schule krude Ideen über Sprachen die gesprochen werden dürfen mitbringen. Es ist meine Pflicht, die Lehrkraft darauf aufmerksam zu machen, dass es sehr viele Worte gibt die mit I beginnen und es keinen Grund gibt, das eine rassistische auszuwählen und dann noch ebenso rassistisch zu illustrieren. Es ist meine Pflicht meinen eigenen, internalisierten Rassismus zu reflektieren und zwar immer und immer wieder. Ich kann mir nicht einfach “Antifa” auf die Stirn schreiben und schwupps ist der Rassismus, den ich verinnerlicht habe, weg.
Remember this: Your kids are exposed to racism all of the time, whether or not you’ve ever labeled it for them. They see unfair things happening and they hear racist comments. Giving them the tools and vocabulary they need to recognize it and speak up about it will help them feel empowered to be a part of the solution and show a Black friend, stranger, or classmate that they can depend on your child to be an *ally.
Übersetzung: Denkt daran: Eure Kinder sind ständig Rassismus ausgesetzt, egal ob ihr diesen als solchen bezeichnet habt oder nicht. Sie sehen ungerechte Dinge geschehen und hören rassistische Kommentare. Ihnen das Werkzeug und Vokabular zu geben, das sie brauchen um Rassismus zu erkennen und aufzuzeigen, wird sie dazu ermächtigen Teil der Lösung zu sein und eine_m/r Schwarzen Freund_in, Unbekannte_m/n oder Klassenkamerad_in zeigen, dass sie sich darauf verlassen können, dass eure Kinder Verbündete sind.
LaNesha Tabb & Naomi O’Brien in „A White Families’ Guide For Talking About Racism“, https://laneshatabb.com/2020/05/a-white-families-guide-for-talking-about-racism/, aufgerufen am 24.09.2020
Wir sind als Eltern nicht allein verantwortlich dafür, dass unsere Kinder antifaschistisch werden. Aber wir tragen einen wesentlich Teil dazu bei.
Und darum gehören Kinder auch mit auf Demos. Ich werde sie nicht mitnehmen, wenn ich Sorge habe, dass die Polizei oder andere rechte Gruppierungen gewaltvoll in die Demo eingreifen könnten. Aber ich bringe meinen Kindern selbstverständlich bei, dass ein bisschen Unbequemlichkeit zum unbequem sein dazu gehört. Dass es sinnvoll ist laut zu werden, wenn Missstände stillschweigend hingenommen werden. Dass ich mir von ihnen Ungehorsam wünsche. Und dass wir es uns erlauben können, auf diese Art und Weise zu protestieren, weil wir Privilegien haben, die anderen nicht haben. Wir sind weiße Mittelschicht.
Ebenso wie meine Kinder mitbekommen, dass ich Nazi-Sticker überklebe und Hakenkreuze übermale, bekommen sie mit, dass ich auf Demos gehe zu denen ich sie mitnehme und auf welche zu denen ich das lasse. Sie bekommen mit, dass ich ihnen manche der Videos die ich in meinen Nachrichtenfeeds sehe zeige und andere nicht. Sie überreißen sehr schnell, dass wenn ich von den Menschen spreche, die in Konzentrationslagern umgebracht wurden, auch Menschen wie mich und unsere Freund_innen meine. Denn ich bin zwar weiße Mittelschicht, wie die meisten um uns herum, aber auch trans und queer und psychisch krank.
Mein großes Kind wollte eines Tages eigene Sticker haben um Nazi Sticker zu überkleben. Viele davon erkennt es bestens. So kam es, dass ich eines Tages zum Gespräch mit den Erzieher_innen gebeten wurde, weil mein Kind auf einem Ausflug einen Aufkleber überkleben wollte. Man sei politisch neutral in der Betreuungseinrichtung. Ich fragte was an Aufklebern auf denen drauf steht, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken sollten neutral ist. Man wolle keine Aufkleber die politisch extrem wären in der Kindergartentasche. Ich erwiderte, dass mein Kind keine politisch extremen Aufkleber dabei habe. Es sei denn, dass es für politisch extrem gehalten würde, dass Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden sollten. Ich erkläre, dass wir zuhause darüber reden, dass nicht alle Kinder in Sicherheit leben können. Dass es sogar Menschen gibt die aktiv verhindern wollen, dass diese Kinder in unser Land kommen können um hier zu leben.
Politische Neutralität ist überhaupt gerne etwas was zitiert wird. Ein bequemes Kissen für Privilegierte. Es gibt keine politische Neutralität und es gibt keine unpolitische Erziehung.
Es ist mehr als an der Zeit für antifaschistische Erziehung.
Leseempfehlungen:
- Web – LaNesha Tabb & Naomi O’Brien: „A White Families’ Guide For Talking About Racism“
- Buch: Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß
- Buch: Tupoka Ogette: Exit Racism
- Buch: Max Czollek: Desintegriert euch!
- Buch: Herbert Renz-Polster: Erziehung prägt Gesinnung
- Web: Nora Imlau: Falsche Freunde